13.05.2025

Taiwan Today

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Der Hotel-Empfangschef Danny Jan

01.05.1998
“Ich arbeite hier schon lange genug und weiss natürlich, dass die Leute nicht alle nett sind. Aber ohne Geduld wird mann im Hotelgewerbe nicht alt.”
Der 50jährige Danny Jan trägt einen dunklen Anzug und polierte Schuhe. Er spricht sanft und freundlich und gehört zu den Leuten, die ihre Worte sorgfältig überlegen. Auf seinem Pult stehen ein Computer und zwei Telefone -- ein Kontrast zu dem klassischen chinesischen Gemälde an der Wand hinter ihm, den verzierten Fauteuils und den antiken Vasen auf dem dicken edlen Teppich.

Danny Jan kam als Kind armer Eltern im Bergland von Miaoli im Nordwesten Taiwans zur Welt. Als Teenager mußte er sich das Geld für die Schulgebühren selbst verdienen und schleppte Ziegel für den Bau von Tempeln durch die Berge oder transportierte Gemüsekörbe zum Markt. Nach dem Examen an der Tourismusabteilung eines Colleges in Taipei nahm er eine Reihe von Teilzeitjobs an, bevor er im Grand Hotel Taipei eine Stelle bekam.

Ich arbeite hier seit 1974. Damals gab es nicht viele Hotels mit internationalem Standard in Taiwan, und wenn man im Hotelgewerbe arbeiten wollte, war das hier die beste Wahl. Am Anfang war ich nur ein Etagenboy. Hotelangestellte fangen sehr oft ganz unten an und arbeiten sich dann hoch. Meiner Meinung nach bekommen die Leute dadurch eine umfassende Kenntnis von dem Hotel und werden bescheiden und geduldig.

Ich finde, in diesem Dienstleistungsbetrieb sind Bescheidenheit und Geduld besonders wichtige Eigenschaften. Man darf nicht vergessen, daß der Kunde König ist. Im Dienst sage ich mir immer, ich bin für die Gäste da. Ich erkläre meinen Mitarbeitern, daß sie beim Umgang mit den Gästen Geduld und Verständnis brauchen, sonst haben sie den falschen Beruf. Ich arbeite hier schon lange genug und weiß natürlich, daß die Leute nicht alle nett sind. Aber ohne Geduld wird man im Hotelgewerbe nicht alt.

Manchmal bringen unverschämte Gäste Hotelangestellte zum Weinen, und wenn ich sie dann in einer stillen Ecke heulen sehe, macht mich das traurig. Aber was soll ich machen? Als ich noch jünger war, haben mich manche groben Gäste zur Weißglut gebracht, und dann bin ich zum Abkühlen in den Aufenthaltsraum gegangen. Mit der Zeit wurde mir aber klar, daß man sich solchen Dingen stellen muß, wenn man es im Dienstleistungsgewerbe zu etwas bringen will. Die Kunden dürfen die Musik bestimmen, denn sie bezahlen ja schließlich auch die Kappelle. Man muß realistisch sein und das Wesen dieses Jobs erkennen.

Für den Aufstieg vom Etagenboy zum Empfangschef habe ich 24 Jahre gebraucht. In diesem Hotel habe ich schon in allen drei Schichten gearbeitet. Die erste Schicht ist von acht Uhr morgens bis vier Uhr nachmittags, die zweite von vier Uhr nachmittags bis Mitternacht, und die dritte dann von Mitternacht bis acht Uhr morgens. Vor meiner Heirat habe ich kaum in der dritten Schicht gearbeitet, die normalerweise ziemlich ruhig ist. Wenn dann aber mal was passiert, ist es oft sehr ernst oder unangenehm.

Man kann sich das ja vorstellen -- bei Auslandsreisen ist man wegen des exotischen Essens, des Zeitunterschiedes, der ungewohnten Umgebung und so weiter geschwächt. Ziemlich häufig vertragen die Ausländer die relativ ölige chinesische Kost nicht und kriegen mitten in der Nacht einen Magen-Darm-Katarrh. In einem solchen Fall rufen wir normalerweise einen Arzt und Krankenwagen von unserer Stammklinik. Wenn ich Dienst habe, begleite ich den kranken Gast immer als Dolmetscher ins Hospital.

Einmal brachte ich einen japanischen Gast mit einer akuten Herzattacke ins Krankenhaus, doch unglücklicherweise starb er. Danach begleitete ich seine japanischen Freunde zu einem Bestattungsunternehmer und half ihnen bei den Formalitäten. Und manchmal kreuzt hier eine rasende Ehefrau mit Polizei im Schlepptau auf und sucht nach ihrem untreuen Ehegatten. Wir halten uns dann normalerweise im Hintergrund und lassen die Polizisten machen.

Heutzutage arbeite ich entweder in der ersten oder in der zweiten Schicht. Normalerweise mache ich in der ersten Hälfte des Monats die erste Schicht und in der zweiten Hälfte die zweite Schicht. Für mich ist das Jacke wie Hose. Manche der jüngeren Angestellten mögen die zweite Schicht nicht, weil das für sie die wichtigste Zeit des Tages ist, zu der sie Verabredungen haben oder mit Freunden Spaß haben wollen. Aber ich bin anderer Meinung, denn unser Dienstplan ist recht flexibel. Wenn man abends etwas Wichtiges vorhat, kann man immer mal die Schicht mit einem Kollegen tauschen. Und außerdem können wir vor der Abendschicht tagsüber unsere persönlichen Angelegenheiten erledigen und vermeiden dabei noch die Staus.

Ich habe also nichts gegen die zweite Schicht, aber dafür meine Frau. Sie beklagt sich zu Recht, ich sei nicht genug zu Hause. Aber ich denke, je mehr Zeit die Ehepartner miteinander verbringen, desto mehr Krach haben sie. Ich wohne in der Nähe des Hotels und bin nach der zweiten Schicht daher oft schon um halb eins in der Frühe zu Hause. Die zweite Schicht ist für ein Hotel am wichtigsten, weil dann die meisten Gäste einchecken oder zum Essen kommen. In dieser Zeit gibt es für uns immer am meisten zu tun. Wer befördert werden will, muß unbedingt viel Erfahrung in dieser zweiten Schicht vorweisen können.

Ob man jetzt am Tag oder in der Nacht arbeitet -- alles hat seine Vor- und Nachteile. Tagsüber ist weniger zu tun, weil die meisten Gäste auswärts sind oder auschecken. Aber selbst dann gibt's manchmal Trara. Manche Gäste beklagen sich, daß wir sie nicht schnell genug auschecken, oder sie beanstanden die Rechnung. Dann muß ich zur Stelle sein und mein Bestes tun, damit alle zufrieden sind. Verspätetes Auschecken ist relativ leicht zu regeln. Ich erkläre geduldig, daß dies die Spitzenzeit zum Auschecken ist, und bitte um Verständnis.

Beanstandete Rechnungen sind da schon kniffliger. Meiner Erfahrung nach gibt es meistens Streit über die Höhe der Telefonrechnung. Manche Leute legen nach einem internationalen Ferngespräch den Hörer nicht richtig auf, und natürlich läuft unser Gebührenzähler dann weiter. In einem solchen Fall bitte ich die Gäste erst um die Bezahlung der Rechnung und stelle nach der Überprüfung der Gesprächszeit eine Rückzahlung in Aussicht. Unter uns gesagt, das ist eine heikle Angelegenheit, weil wir die Rechnung erst einen Monat später von der Telefongesellschaft bekommen und deswegen ziemlich lange warten müssen, bevor wir die Daten überprüfen können. Das macht die Gäste ziemlich zickig. Wenn der Gast dann recht hat, muß ich das Geld erstatten und einen Entschuldigungsbrief schreiben. Das alles kostet Zeit.

Manchmal gibt es Probleme, aber das hat auch wieder seine guten Seiten. Oft helfe ich den Gästen bei ihren Schwierigkeiten und bleibe ihnen meistens im Gedächtnis. Am Jahresende kriege ich immer Karten aus der ganzen Welt -- leider kann ich mich dann an manche der Namen gar nicht mehr erinnern. Durch meine Arbeit habe ich hier viel Kontakt mit Ausländern und kann deswegen recht gut Englisch und Japanisch. Als Schüler hatte ich mir bei Fremdsprachen nicht sehr viel Mühe gegeben, aber im Laufe der Zeit bin ich viel besser geworden. Mein Geheimrezept ist, daß ich mein Geld nicht für eine Sprachenschule, sondern für meine Freunde ausgebe. Ich lade meine japanischen Freunde oft ein und habe so natürlich viel Gelegenheit zum Üben der Sprache. Meiner Meinung nach lohnt sich das viel mehr als Sprachkursgebühren.

Ich verdiene nicht besonders viel, habe dafür aber viel Urlaub. Wir können unseren Urlaub über die Jahre ansammeln, und mir stehen jetzt zwei Monate bezahlter Urlaub zu. An freien Tagen gehe ich oft zum Entspannen in ein Gesundheitsstudio. Ich kann mich in meiner Freizeit gut ausruhen und von der Arbeit abschalten. Ich lese Bücher und Zeitschriften, sehe fern und tue eigentlich alles außer reden und grübeln. Nur im Gesundheitsstudio kann ich wirklich abschalten und brauche einen ganzen Tag lang nicht zu sprechen. Während der Arbeit denke ich zuviel. In gewisser Weise ist das auch gut so, weil ich dann Probleme schon vor ihrer Entstehung erkennen kann, aber das kann anstrengend sein.

Manchmal wünschte ich, ich wäre nur ein untergeordneter Angestellter anstatt Empfangschef, denn dann müßte ich mir nicht über so viele Dinge den Kopf zerbrechen. Als Empfangschef muß ich mich nicht nur mit den Beschwerden der Gäste herumschlagen, sondern auch mein Personal im Auge behalten. Mit den jungen Leuten wird man heutzutage nur schwer fertig. Von ihrem Traumjob erwarten sie: mehr Geld, weniger Arbeit, näher am Wohnort. Wir sind früher wie Soldaten behandelt worden, die Befehlen zu gehorchen hatten. Heute muß ich höflich zum Personal sein und an ihre Interessen denken, damit wir gut miteinander auskommen. Ich habe wirklich um diesen Job gekämpft, und jetzt kommt es mir vor, als hätte ich nichts als Verdruß.

Ich habe schon lange nicht mehr mit meiner Familie Chinesisch-Neujahr [der höchste Feiertag für die Chinesen] feiern können. In diesem Januar sind meine Eltern beide gestorben, und ich kann nie wieder mit ihnen zusammensein. Ich hätte nie gedacht, daß das so schnell geht. Das Leben ist wie ein Traum, nicht wahr? Ich habe nun ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel und einen beträchtlichen Teil dieser Zeit für dieses Hotel gearbeitet. Wenn ich noch einmal wählen könnte, würde ich mir wahrscheinlich einen anderen Job suchen. Ich arbeite schon zu lange hier. Wichtig ist mir im Moment nur, genug für die Ausbildung meines Sohnes zu sparen.

(Deutsch von Tilman Aretz)

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